Stolla: Jim McNeely, Sie haben einmal gesagt, ein Tag sei dann erfolgreich für Sie gewesen, wenn Sie etwas Neues gelernt haben. Was haben Sie aus Ihren jüngsten Projekten mit der hr-Bigband gelernt?

Jim McNeely: Eine der letzten intensiven Lernerfahrungen war das Programm mit Musik von Fletcher Henderson und Louis Armstrong. Ich höre die Musik von Fletcher Henderson schon seit vielen Jahren und hatte natürlich eine Vorstellung davon, wie sie  aufgebaut ist. Aber als ich die Stücke für die hr-Bigband bearbeitet habe, musste ich noch sehr viel genauer hinhören. Und dabei gibt es viele Feinheiten zu entdecken.

Stolla: Olaf Stötzler, als Orchestermanager der hr-Bigband entwickeln Sie das Programm und planen die Konzerte und Produktionen. Sind damit auch Lernerfahrungen verbunden?

Olaf Stötzler: Das Produzieren der Projekte ist ein beständiger Lernprozess. Nach jedem Konzert weiß man wieder mehr über die beteiligten Akteure, wie eine bestimmte Musik in einem bestimmten Kontext funktioniert und wie man das positiv beeinflussen kann. Man nimmt für die Zukunft immer wieder ein Stückchen mehr Wissen mit, um es beim nächsten Mal vielleicht noch besser zu machen.

Stolla: Jim McNeely, wenn Sie jetzt einen Blick in die Zukunft werfen und auf die bevorstehenden Projekte: Auf was für Entdeckungen freuen Sie sich?

McNeely:  Ich werde in der Saison 2017/18 auf einige Leute treffen, mit denen ich bisher noch nicht gearbeitet habe. Durch solche neuen Begegnungen lerne ich immer dazu. Das macht es für mich so interessant, Chefdirigent der hr-Bigband zu sein: immer wieder in Kontakt mit neuer Musik zu kommen, Dinge zu tun, die ich nie zuvor getan habe.

Zum Beispiel kommt im nächsten Jahr Ambrose Akinmusire, von dem ich Aufnahmen kenne, den ich aber noch nicht persönlich kennengelernt habe. Er ist eine der neuen Stimmen auf der Trompete, er hat wirklich etwas zu sagen und ist ein sehr interessanter und kraftvoller Musiker.

Auch Cory Henry bin ich bisher noch nicht begegnet. Er kennt die Hammondorgel besser als fast jeder andere, er holt unglaubliche Klänge aus ihr heraus. Die Seele trieft geradezu aus der Orgel, wenn er spielt. Der Klang der Hammondorgel ist überhaupt unvergleichlich – besonders in Kombination mit einer Bigband. Wenn eine Bigband einen großen Akkord spielt, ist das schon aufregend, aber wenn dann noch eine Hammond B3 hinzukommt – meine Güte, das ist großartig! Cory Henry kommt vom Funk, aber er versteht auch eine Menge vom Jazz.

Stolla: Ivan Lins dagegen kennen Sie schon ...

McNeely: Mit ihm habe ich schon gearbeitet. Ivan ist nicht nur ein wundervoller Musiker und Songschreiber, sondern auch ein sehr angenehmer Mensch in der Zusammenarbeit. An der populären brasilianischen Musik gefällt mir, dass ihre Musiker wirklich viel über Musik wissen, was man von vielen nordamerikanischen Popmusikern nicht sagen kann. Die brasilianischen Popmusiker haben oft Musik studiert, auch Musiktheorie, und gerade Ivan Lins ist sehr musikalisch. Er ist entspannt, singt auf seine ganz eigene Art. Überhaupt interessiert mich alles, was mit Brasilien zu tun hat. Ich war leider noch nie dort, aber die Musik ist wundervoll.

Stolla: Olaf Stötzler, Sie entwickeln die Programme ja letztlich für das Publikum. Ist Ihre Arbeit als Orchestermanager da auch von einem Bildungsgedanken getragen?

Stötzler: Der Bildungsgedanke äußert sich vor allem in unserer Educationarbeit, in unseren Angeboten für Schülerinnen und Schüler, aber auch in Bildungsangeboten für Erwachsene. Wir versuchen damit, den Gedanken des orchestralen Jazz zu verbreiten – gerade in der jüngeren Generation. Wir machen das nicht nur, um eine neue Zuhörerschaft aufzubauen, sondern auch aus durchaus idealistischen Gründen. Wir wollen Schulen darin unterstützen, am Thema Jazz zu arbeiten. Als Hessischer Rundfunk haben wir einen Kulturauftrag und einen Bildungsauftrag, in sofern ist das ganz im Sinne der öffentlich-rechtlichen Idee.

Stolla: Warum ist es für Schülerinnen und Schüler so wichtig, sich mit der Jazz zu befassen?

Stötzler: Jazz ist eine einzigartige Musik. Viele sehen in ihm die klassische Musik des 21. Jahrhunderts, es ist eine Musik, die es in dieser Form nirgendwo anders gibt. Im Jazz lebt der Gedanke des gemeinsamen Musizierens, er geht weit über das pure Reproduzieren von Noten hinaus. In der klassischen Musik ist Werktreue wichtig. Bei uns geht es darum, zusammen etwas zu erschaffen, das nicht nur in den Noten steht. Die Musik ist dabei eine universelle Sprache, die auch Kulturen verbindet. In diesem Sinn kann Jazz auch eine Antwort sein auf aktuelle gesellschaftliche Fragen.

Stolla: Jim McNeely, auch Sie machen Bildungsarbeit. Sie unterrichten an Hochschulen und in Jazzkursen. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung: Was meinen Sie, wie Menschen vom Jazz überzeugt werden können?

McNeely:  Man kann ein Pferd zur Tränke führen, aber man kann es nicht zum Trinken zwingen. Deshalb sollte man Menschen zunächst die Gelegenheit geben, in jungem Alter Jazz zu hören. Und Schülerinnen und Schüler lieben es, wenn eine Band kommt. Zudem hilft es, glaube ich, wenn jemand erklärt, was passiert. Ich habe zum Beispiel einmal Freunden ein wenig davon erzählt, wie ein Jazzstück aufgebaut ist. Wir haben Takte gezählt, bis der nächste Chorus kam. Und schon so einfache Dinge haben dann Aha-Effekte ausgelöst. Immer wieder hört man, Jazz klinge einfach nach einer Menge Noten. Es sind wirklich eine Menge Noten – aber das hat einen Grund, und die Noten sind um eine bestimmte Form herum angeordnet. Wenn Menschen ein wenig um diese Zusammenhänge wissen, verstehen sie besser, was passiert. Manche Pädagogen meinen, die Musik solle für sich selbst sprechen, sie brauche nicht erklärt zu werden. Ich bin da anderer Ansicht. Wenn man Menschen ein wenig in die Geheimnisse einweiht und ihnen Informationen darüber gibt, wie Jazz gemacht wird, wird man nicht alle überzeugen, aber einige werden den Jazz schätzen lernen.